Gastspiel: Guido Wildhaber

«Ich hatte gar keine Zeit, um nervös zu sein»

Der 59-Jährige beendete 2008 seine Schiedsrichter-Karriere mit der Partie YB – GC. Wildhaber ist Instruktor der Luftwaffe – und Gemeindepräsident.

«Der 26. August 1995 ist ein Datum, das meine Karriere als Schiedsrichter geprägt hat. Und diesen Samstag werde ich nie vergessen. Ich hatte am Nachmittag auf dem Neufeld trainiert und fuhr danach ins Wankdorf, YB traf auf GC, und ich schaute mit ein paar Kollegen den Match. Nach etwas mehr als einer Stunde passierte es: Philippe Leuba, der die Partie leitete, zog sich auf unglückliche Weise eine Verletzung zu. Er geriet in einen Zweikampf zwischen Alain Baumann und Eric Viscaal und konnte nicht weitermachen.

Damals gab es keinen vierten Offiziellen, der hätte einspringen können. Der Speaker machte eine Durchsage: Wenn ein Schiedsrichter im Stadion anwesend sei, soll er sich bitte melden, damit das Spiel fortgesetzt werden kann. Ich zögerte nicht lange und erklärte mich bereit, auszuhelfen. Eigentlich hätte einer der zwei Assistenten die Rolle von Leuba übernehmen sollen, aber weil ich als 1.-Liga-Schiedsrichter höher eingestuft war als die beiden, sagte der Inspizient: <Guido, du pfeifst.>

Natürlich hatte ich keine entsprechenden Kleider dabei. Also streifte ich das Ersatztrikot von Leuba über, und Heinz Minder drückte mir ein Paar Schuhe in die Hände. Ich sagte: <Hene, wenn ich mit dieser Marke herumlaufe, gibt es garantiert Ärger mit unserem Ausrüster.> Hene machte sich subito auf die Suche, wurde fündig, und ich konnte meinen Dienst antreten. Der Inspizient warnte mich noch, die Partie befinde sich in einer heiklen Phase, ich müsse sehr aufmerksam sein. Aber das löste in mir nicht viel aus. Ich hatte gar keine Zeit, um nervös zu sein.

Ich glaube, ich habe meine Sache ziemlich gut gemacht, jedenfalls lobten mich die Zeitungen. Eine Schlagzeile: <Guido Wildhabers grosser Auftritt.> Eine andere: <Er nutzte die Chance seines Lebens. > Und YB-Goalie Bernard Pulver fand, ich hätte besser gleich von Anfang an gepfiffen…

Dieses Spiel war mein erstes von über 160 in Nationalliga A und Super League, und YB – GC war auch das letzte meiner Karriere. Ich durfte mir eine Begegnung aussuchen, da bot sich diese an, um den Kreis zu schliessen. Bei meiner Premiere 1995 hatte YB 0:1 verloren, 2008 bei meinem Abschied 2:0 gewonnen.

Mir war der korrekte, offene, aber auch humorvolle Umgang mit den Spielern immer wichtig. Es kam vor, dass ich mich zum Beispiel mit Martin Lengen zu einem Kaffee traf. Aber es war immer klar: Wenn wir auf dem Platz miteinander zu tun haben, gelten für ihn dieselben Regeln wie für alle anderen. Darum funktionierte es auch problemlos. Es gab viele YB-Spieler, mit denen ich mich einfach gut verstand, Bernard Pulver, Paolo Collaviti, Hakan Yakin, Martin Fryand… und Thomas Häberli war mit mir sicher nicht immer einverstanden, aber im Oktober 2009 durfte ich sein Abschiedsspiel leiten. Ganz alles habe ich offensichtlich doch nicht falsch gemacht.

Eine gewisse Verbundenheit mit YB hat sich automatisch ergeben. Ich bin zwar gebürtiger Ostschweizer aus Mels, zog aber aus beruflichen Gründen in den Neunzigerjahren in den Kanton Freiburg und trainierte oft in Bern. Seit zwölf Jahren lebe ich mit meiner Familie in Ried bei Kerzers, und der Fussball ist bei uns regelmässig ein Thema. Unsere zwei Kinder Fabio und Lynn sind YB-Fans, was nicht zuletzt den Vorteil hat, dass man sich nicht gross den Kopf darüber zerbrechen muss, was man ihnen zu Weihnachten schenken soll. Natürlich sind wir drei Saisonkarteninhaber. Manchmal muss ich meinen Sohn besänftigen, wenn es nicht optimal läuft. Aber das kommt zum Glück selten vor. YB feierte in den vergangenen Jahren grosse Erfolge, was für mich vor allem mit den Verantwortlichen zu tun hat. Keiner stellt sich in den Mittelpunkt, sondern leistet seine Arbeit im Sinne des Vereins.

Meine Tage sind ziemlich ausgefüllt, aber ab nächstem Sommer habe ich mehr Zeit für all meine Tätigkeiten. Ich gehe mit 60 vorzeitig in den Ruhestand, aber eben: Ruhe werde ich kaum haben. Ich bin Präsident des FC Kerzers und Tätschmeister, wenn YB eines seiner Kids Camps bei uns durchführt. Übrigens: Christian Franke, der Chef der Youth Base, spielte zwei Jahre in der 2. Liga interregional bei uns.

Seit dem 1. Mai bin ich Gemeindepräsident von Ried, das rund 1300 Einwohnerinnen und Einwohner zählt. Ausserdem präsidiere ich den Männerchor unseres Dorfes und singe selbst mit. Für mich sind die Proben jeweils am Mittwochabend Highlights. Dann vergesse ich alles, was mich sonst beschäftigt. Und ich finde: Ich habe als Sänger sogar ein gewisses Talent…» (lacht laut)

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Quelle: YB MAG Nr. 2 / 2021/22

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