Das Museum erzählt: YB als Botschafter des Schweizer Fussballs

Die USA-Reise 1953

Eine Schweizer Fussballmannschaft fliegt über den Atlantik und wird in New York von einer riesigen Menschenmenge herzlich begrüsst. Der Mayor of the City of New York, der Bürgermeister der Millionenmetropole, bittet am Tag darauf zum offiziellen Empfang. Die Fussballer überreichen ihm im Auftrag ihres Gemeinderats einen geschnitzten Bären als Gastgeschenk der Stadt Bern und rollen alsdann einen riesigen Emmentaler Käse die Stufen des Stadthauses hinauf. Radio Beromünster ist vor Ort: Der legendäre Reporter Heiner Gautschi berichtet für das «Echo der Zeit». Der Bus der Fussballer mit der Aufschrift «Swiss Goodwill International Soccer Tour» werden schliesslich unter dem Applaus der Bevölkerung über den Broadway ins Hotel eskortiert. Das war im Jahr 1953.

Es war eine unglaubliche Ehre, die den Spielern des BSC Young Boys widerfuhr. Damals, nur acht Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkriegs, waren Übersee-Expeditionen von europäischen Fussballteams etwas völlig Aussergewöhnliches – aber für die sportbegeisterten Amerikaner (insbesondere für die Millionen von Einwanderern) auch eine tolle Sache: Entsprechend erlebten die «Cupholder of Switzerland» mit ihrem Trainer Albert Sing dreieinhalb unvergessliche Wochen.

Bei Sammlern von YB-Gegenständen aus der bald 124-jährigen Klubgeschichte ist das kleine Büchlein, das anno 1953 im Anschluss an die USA- und Kanada-Expedition erschienen war, heutzutage ein begehrtes Objekt. In der Tat: Auf 32 Seiten kann der Leser das aussergewöhnliche Abenteuer miterleben – dank den drei Verfassern Guido Wärtli (Präsident), Albert Sing (Trainer) und Alphons Stadler (Spieler).

Verwöhnt von der Swissair

Los ging es am 1. Juni 1953, mittags, im Berner Bahnhof. Eine grosse Menschenmenge war da, um von den Young Boys Abschied zu nehmen. Diese waren einheitlich gekleidet: Blauer Sommeranzug, weisses Hemd, blauweisse Krawatte. Als der Zug in Richtung Zürich abfuhr, erscholl in der Bahnhofhalle ein eindrucksvolles «Hopp YB»… Es folgten bewegte Tage mit grossartigen Erlebnissen.

Der Flug mit Zwischenstopps in Frankfurt, Dublin und Gander an der Küste von Neufundland war für die meisten Spieler etwas ganz Besonderes: Es war für sie die «Lufttaufe» – an Schlaf war auch in der Nacht nicht zu denken. Die Swissair verwöhnte die Reisegesellschaft mit vielen kleinen Extras: Die Speisekarte trug den Titel «Hipp Hipp Hurra für den Cupsieg», es gab später Patisserie mit YB-Logo oder auch Eiscrème à la Wankdorf. Es waren Aufmerksamkeiten, die die dankbaren Berner sehr schätzten. Der International Airport Idlewild in New York wurde schliesslich nach einer rund 30 stündigen Reise erreicht.

Die Young Boys waren …keine Junioren

Es führte zu weit, auf alle Spiele einzugehen, die die Young Boys in den USA und Kanada austrugen. Einige aber seien erwähnt.

Der erste Match: Im 80’000 Zuschauer fassenden Yankee-Stadium hiess der Gegner «American All Stars» – die damalige Nationalmannschaft der USA, die eben Rapid Wien 4:3 bezwungen und gegen Liverpool knapp verloren hatte. Der Publikumsaufmarsch mit 4’000 Zuschauern war enttäuschend, weil der Name «Young Boys» auf den Affichen bei der Leserschaft den falschen Eindruck erweckte, beim Gegner der Amerikaner handle es sich um eine Junioren-Mannschaft. Doch nach 90 Minuten wusste im Publikum jedermann über die «Junioren», die 9:0 siegten, Bescheid! Die «New York Times» schrieb: «Die Schweizer eröffnen ihre Tournee mit einem Bombenresultat.» Und: «Die Europäer zeigten eine verblüffende Exhibition von geschickter Fuss- und Kopfballarbeit sowie überraschenden Pässen. Ihr bester Mann: Eugen Meier, der drei Tore schoss. Er hätte bei uns wohl noch mehr Schaden angerichtet, hätte er nicht verletzt austreten müssen.»

Der YB-Goalie ergriff die Flucht

Unvergesslich für alle Beteiligten auch der Match in Baltimore gegen die «Rockets». Trainer Albert Sing hat darüber einen Bericht verfasst, der uns heute noch im Original vorliegt:

«Gewisse Fussballspiele vergisst man schnell, andere bleiben lange in Erinnerung. Kein YB-Spieler wird jedenfalls das Spiel gegen die Baltimore-Rockets je vergessen. Es handelt sich hier um eine neu gegründete Profi-Elf. Es ist unmöglich, genau zu erzählen, was da alles vorging. Wer glaubt, ich übertreibe in meinem Bericht, hat falsch geraten. Mir fehlen die Worte um alles zu schildern, was da im riesigen Baseball-Ground von Baltimore ablief. Fussball war es nicht, was da gespielt wurde, sondern für meine Begriffe eher ein Varieté-Programm.

Schon eine Stunde vor Beginn des Spieles mussten wir auf dem Platze sein. Vor uns marschierte eine grosse Kapelle ein und mit uns die 20 Mann starke Mannschaft der Rockets. Jeder Spieler wurde dem Publikum einzeln vorgestellt, und nachher folgten endlose Begrüssungen und Reden. Endlich um 20:30 Uhr Ortszeit begann dann das Spiel. Wir starteten in folgender Aufstellung: De Taddeo – Zehnder, Flückiger – Casali I, Casali II, Bigler – Bähler, Häuptli, Rösch, Haag, Stadler.

Nach 6 Minuten Spielzeit hatte Casali I mit einem Bogenball für das 0:1 gesorgt. Gleich darauf wurden wunderbare Chancen durch unsere Stürmer ausgelassen, was uns beinahe zum Verhängnis werden sollte. Vor dem Spiel wurde abgemacht, dass jede Mannschaft drei Spieler auswechseln könne. Die Rockets wechselten aber laufend Spieler aus wie beim Eishockeyspiel. Oft waren bei ihnen 14 Spieler auf dem Feld, die durch zwei Manager dauernd dirigiert und gewechselt wurden. Capitain Charly Casali kam nicht mehr zum Spielen, da er sich dauernd mit dem Zählen der Gegenspieler beschäftigen musste…

Langsam begannen die Rockets auch noch schrecklich hart zu spielen. Der Schiedsrichter pfiff prinzipiell kaum, dafür aber umso mehr die mit Pfeifen versehenen Linienrichter (es waren deren vier), Cornerflaggen und Penalty-Punkte gab es nicht. Im Strafraum des Gegners wurden unsere Stürmer dauernd gefällt. Als sich einmal drei Rockets wie blutrünstige Bären auf de Taddeo warfen, kickte dieser den Ball weg und rief um Hilfe. Ohne etwas zu sagen rannte er quer über den Platz und bat Walter Eich, für ihn einzuspringen. Auch Eich wurde hart zugesetzt.

Je näher das Spielende kam, desto unangenehmer wurde die Geschichte. Rösch und Meier waren verletzt worden, wobei die Blessur von Geni Meier ziemlich schwerer Natur war. Meier war eben für den verletzten Rösch eingetreten, als er auch verletzt schon wieder das Spielfeld verlassen musste. Auch Bähler bekam einiges ab. Bigler wurde beinahe gelyncht, als er dem Rechtsaussen den Ball vor der Nase wegschnappte und dieser den Krampf bekam.

Als der Schiedsrichter das Spiel abpfiff, stürzte sich die Gegner auf unsere Spieler. Wir befürchteten das Schlimmste. Anstelle der erwarteten und vom amerikanischen Eishockey her bekannten Massenschlägerei gab es Umarmungen und Versöhnungen. Die Gegenspieler sprachen ausserdem von einem fairen und schönen Spiel!»

Fünf Siege und ein Unentschieden

Die sportliche Ausbeute der USA- und Kanada-Tournee war schliesslich hervorragend, wobei das 1:1-Unentschieden gegen die englischen Vollprofis der FC Liverpool und der 4:1-Sieg gegen das Nationalteam von Irland die Highlights aus YB-Sicht waren. Die einzelnen Ergebnisse:

  • YB – American League Stars 9:0 (4. Juni, Yankee Stadium, NY)
  • YB – Baltimore Stars 1:0 (9. Juni, Baltimore)
  • YB – Newark Portuguese 7:0 (12. Juni, Harrison)
  • YB – FC Liverpool 1:1 (14. Juni, Yankee Stadium, NY)
  • YB – Irish Stars 4:1 (16. Juni, Montreal)
  • YB – Montreal Italia 6:1 (19. Juni, Montreal)

Alarm: Ball über Bord

Am 20. Juni 1953 schifften sich die Young Boys an Bord der S.S. Ryndam der Holland-Amerika-Linie ein – es ging in Richtung Heimat. Auch die dreitägige Schiffsreise nach Southampton und Le Havre war für die Fussballer ein einzigartiges Erlebnis. Eine Episode sei hier nacherzählt:

Am zweiten Tag an Bord verspürten die YB-Spieler plötzlich wieder Lust, dem runden Leder nachzujagen. Flugs wurde in einer Kabine der Erinnerungsball vom Liverpool-Match organisiert und auf Oberdeck ein Match veranstaltet. Er endete insofern abrupt, als dass Captain Housi Grütter die einzig verfügbare Kugel statt ins leere Tor hoch über Bord schoss. Der Ball tanzte mit dem Golfstrom auf Nimmerwiedersehen in Richtung Skandinavien….

Und schliesslich die Ankunft daheim in der Bundesstadt. Man wähnte sich am Zibelemärit, als die Young Boys nach dreieinhalb Wochen endlich wieder am Bahnhof Bern eintrafen. Alles war auf den Beinen, die Stadtmusik intonierte zur Begrüssung den Berner Marsch («Trämträmträderidi»), spontan gab’s einen Umzug durch die Spitalgasse. Zuvorderst die Damen der Landhockey-Sektion (im Wettkampfdress selbstverständlich), dann die heimkehrenden Fussball-Helden, die schliesslich vom Berner Gemeinderat in corpore im Hotel Bristol herzlich willkommen geheissen wurden.

Ja, Bern war stolz auf die Botschafter des Schweizer Fussballs.

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Autor: Charles Beuret
Quelle: YB MAG Nr. 2 / 2021/22

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