Die «Härdöpfu» waren schuld
Wir schreiben das Jahr 1921. Der erste Weltkrieg (1914-18) ist zwar zu Ende, aber die wirtschaftliche Not überall in Europa gross. Auch in der Schweiz, die zwar vom Kriegsgeschehen verschont geblieben, aber von den Folgen der weltweiten Versorgungskrise stark betroffen ist. Lebensmittel wie Reis, Zucker, Mais, Teigwaren, Hafer und Gerste, später auch Brot und Mehl, Butter, Fett, Öl und Milch sind rationiert. Es herrscht ein Ernährungsnotstand.
Auch Bern leidet. Und so beschliesst die Obrigkeit, dass auf den Fussballfeldern Kartoffeln anzupflanzen seien. Betroffen ist auch der Platz des damaligen FC Young Boys, der Spitalacker. YB muss auf der Kasernenmatte spielen (wird in der Saison 1920/21 dennoch Meister) – ein Zustand, der sportlich natürlich nicht befriedigt.
Nun kommt Otto Eicher ins Spiel. Er gründet mit einer Gruppe einflussreicher YB-Sympathisanten den «Verein Fussballstadion Spitalacker» (VSS). Das Ziel: Wiederherstellung des «Spittelers» für den Fussballbetrieb, Ausbau der Anlage. Schon bald wird im ersten YB-Stadion wieder gespielt – und es gibt sogar eine neue moderne Tribüne mit über 1’000 Sitzplätzen. Und doch reicht der Kraftakt noch nicht aus, um den Ansprüchen der aufstrebenden Young Boys, die auch eine zweite und dritte Mannschaft, Senioren sowie mehrere Juniorenteams unterhalten, gerecht zu werden. YB braucht ein neues Stadion.
1925 ist es dann soweit. Der VSS kann im Nordosten Berns, im weitgehend noch unbebauten Gebiet neben der grossen Allmend, das Wankdorfstadion mit Trainingsfeldern eröffnen. 22’000 Zuschauer fasst die damals hochmoderne Anlage, die mit überdeckten Steh-Estraden hinter den Toren eine Besonderheit aufweist. Der VSS nennt sich später «Verein Fussballstadion Wankdorf« (VFSW) und stellt sich – gemäss seinen Statuten – weiterhin in den Dienst der Young Boys.
Das Wankdorfstadion wurde stetig aus- und umgebaut – und 1954 ging hier vor über 60’000 Zuschauern der WM-Final 1954 (Deutschland – Ungarn, 3:2) über die Bühne. Hier erlebte der BSC Young Boys mit dem legendären Trainer Albert Sing und seinen unvergessenen Spielern wie Geni Meier, Walter Eich, Willy Steffen, Heinz Bigler, Heinz Schneiter und so weiter jene Erfolge, die viele Jahrzehnte – bis zur glanzvollen Gegenwart – unerreicht blieben.
Der VFSW sorgte in all den Jahren dafür, dass YB eine Spielstätte hatte. Ihm gehörte das Stadion, er betrieb es auch und war gewissermassen die „Lebensversicherung“ für die Gelb-Schwarzen. Schliesslich war es auch dieser «Verein Fussballstadion Wankdorf», der vor rund 35 Jahren das Projekt für einen Stadionneubau entwickelte und schliesslich umsetzte. Man wusste sehr wohl: Das legendäre Stadion entsprach den Anforderungen (Sicherheit, Komfort) nicht mehr, YB würde hier nicht überleben können.
Aber man wusste auch: Eine moderne neue Anlage ist nur mit einer wirtschaftlichen Nutzung und somit neuen Besitzern (Investoren) zu betreiben. Das Vorhaben, das einen heiklen Kampf auf politischer Ebene zu bestehen hatte (der Stadtrat und anschliessend das Volk mussten über eine Umzonung abstimmen), war schliesslich erfolgreich. Und so spielt der BSC Young Boys seit Juli 2005 im modernen Stadion Wankdorf, das in den ersten Jahren seines Bestehens noch «Stade de Suisse» hiess.
Der «Verein Fussballstadion Wankdorf» ist nicht mehr Besitzerin der Anlage – aber der Pioniergeist von anno dazumal und die Begeisterung für den BSC Young Boys lebt weiter. YB gratuliert herzlich zum 100. Geburtstag.
1921, die erste Pioniertat des VFSW: Der Sportplatz Spitalacker ist nicht mehr Kartoffelacker, sondern ein für damalige Verhältnisse schmuckes Fussballstadion mit moderner Tribüne.
***
Autor: Charles Beuret
Quelle: YB MAG Nr. 1 / 2021/22