YB-Erfolgstrainer Gerardo Seoane bleibt auch unter Druck souverän. Im Interview spricht er über Führungsqualitäten, Fussball in Zeiten von Corona und verrät, in welcher Sprache er schimpft.
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Gerardo Seoane, Sie wirken an der Seitenlinie immer cool und abgeklärt, auch wenn es emotional wird. Wie schaffen Sie das?
Es gehört für mich zum Jobprofil einer Führungsperson, die Gefühle zu kanalisieren, die Emotionen im Griff zu haben und zu performen. Diese Souveränität ist für mich zentral.
In einer Teppichetage lässt sich das eher umsetzen, da ist man auch mal für sich. Bei ihnen sieht das anders aus…
Als Trainer steht man natürlich beim Arbeiten in der Öffentlichkeit. Das Verhalten und selbst kleine Gesten werden bewertet. Man kann aber beim Arbeiten nicht ein ganz anderer Mensch sein. Ich bin in meiner Art gegen aussen eher ruhig, auch wenn innerlich die Emotionen manchmal brodeln.
Haben Sie da einen Trick?
Vom Naturell her bin ich ein impulsiver und emotionaler Mensch. Ich habe einen Weg gefunden, in den grössten Stressmomenten an der Seitenlinie die Emotionen sozusagen durch mich hindurch Richtung Boden zu leiten. Es bringt der Mannschaft nichts, wenn ich mich sichtbar aufrege, ich versuche den Fokus auf meinen Job und die guten Entscheidungen, wie zum Beispiel die richtigen Wechsel, zu legen.
Wann zeigen Sie Emotionen?
Ich juble nicht ausgelassen bei einem Tor oder einem Sieg. Statt mich nach einem Etappenziel zu freuen, warte ich lieber bis zum Schluss. So jubelte ich ausgelassen in Sion, als wir die Meisterschaft gesichert hatten. Jeder Trainer ist da anders, es gibt die ruhigeren und es gibt jene, die ständig pushen und versuchen, der Mannschaft auf diesem Weg Energie zu geben.
Nehmen Sie die Emotionen mit nach Hause?
Zu Hause bin ich kein Trainer mehr, da bin ich Familienvater, Partner, Freund oder Kollege. Diesen Switch zu machen ist Erfahrungssache. Es fällt mir jetzt leichter und ich nehme weniger aus dem Job mit nach Hause, als zu Beginn meiner Trainerlaufbahn. Ich komme schneller zur Ruhe.
Ist das zentral für den Erfolg?
Erholung ist enorm wichtig. Mit zu wenig Schlaf oder gestresst ist es nicht möglich, ein Team zu führen. Das gilt übrigens nicht nur im Fussball, sondern für alle Führungspersonen.
Haben Sie Tipps für andere Menschen in Führungspositionen, wie man die grosse Belastung aus dem Beruf bewältigen kann?
Es ist wichtig, die richtige Balance zu suchen, egal auf welche Art, für jeden ist etwas Anderes das Richtige: Schwimmen, Yoga oder Meditation. Für mich ist es die Familie, ein bisschen Sport, mal eine lockere Joggingrunde, im Sommer schwimmen im See oder eine Partie Tennis. Im Moment ist es eher ein Spaziergang in der Natur oder ein gemütlicher Abend mit der Partnerin. Gerne bilde ich mich auch ausserhalb des Fussballs weiter, zum Beispiel mit Hörbüchern über Leadership.
Sie haben im Moment noch weniger Zeit für das Privatleben als in normalen Zeiten…
Ja, in der aktuellen Situation mit vielen englischen Wochen, in denen man die Familie kaum sieht, ist es für mich zentral, Dinge zu machen, bei denen ich Energie tanken kann. In meinem Job habe ich natürlich grundsätzlich etwas weniger Zeit für die Kinder als andere. Aber ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit der Familie zu verbringen. Qualität geht vor Quantität – es gilt dann vor allem, zusammen eine gute Zeit zu haben und im Hier und Jetzt zu sein.
Sie sind ein Familienmensch, oder?
Ich mache keine Rangliste, aber Familie und Freunde sind sehr wichtig. Früher war der Sonntag natürlich der Familientag mit einem ausgedehnten Mittagessen. Meine Eltern leben jetzt wieder in Spanien und ich vermisse sie. Normalerweise würden sie ab und zu in die Schweiz reisen, auch um die Enkel zu sehen. Im Moment ist das wegen Corona leider nicht möglich.
Viele haben während des Lockdowns mehr selber gekocht, wie sieht das bei ihnen aus?
Ich koche gerne, aber meistens überlasse es ich trotzdem meiner Partnerin. Am liebsten koche ich in der Grillsaison. Gerne bereite ich ein Entrecôte zu, dazu feine Ofenkartoffeln und Gemüse. Pasta habe ich als Spieler genug gegessen (lacht). Und wenn ich in Spanien bin, bestelle ich sehr gerne Meeresfrüchte und Fisch.
Apropos Spanien. In welcher Sprache denken Sie?
Ich denke eigentlich meistens auf Deutsch, ich spreche auch mit meinem Bruder so. Mit den Eltern reden wir Spanisch, sie können nicht sehr gut Deutsch, auch weil sie früher vor allem mit anderen Spaniern und Italienern verkehrten. Einzig beim Zählen wechsle ich ins Spanisch und natürlich beim Fluchen (lacht).
Wie veränderte Corona den Menschen Seoane?
Man schätzt die Dinge, die jetzt plötzlich nicht mehr selbstverständlich sind, umso mehr, das geht, glaube ich, allen ähnlich. Es wird uns bewusst, was wir vermissen. Die Unbeschwertheit fehlt, das Spontane im Leben.
Ist die Corona-Situation für Sie persönlich eine grosse Belastung?
Ich denke nicht täglich über die Corona-Pandemie nach, aber sie beschäftigt mich mehrmals pro Woche. Die neue Situation zu Hause in den Familien ist für uns alle eine Herausforderung.
Und wie veränderte Corona den Trainer Seoane?
Im Lockdown der ersten Welle war es noch anders, da mussten wir mehr Verständnis aufbringen in den Trainings. Weil die Spiele fehlten, war es oft schwierig, an die Grenzen zu gehen, da mussten wir es im Training lockerer nehmen, mehr lachen und auf den Gemütszustand Rücksicht nehmen.
Ist das jetzt mit den Geisterspielen anders?
Es gibt weniger Emotionen im Stadion, die Euphorie fehlt den Spielern. Man sieht keine Zuschauer, die man begeistern kann oder auch mal enttäuscht hat. Zum Beruf des Sportlers gehört es, Menschen glücklich zu machen. Ein Vater, der zusammen mit seinen Kindern jubelt. Oder Fans, die vor Freude oder Enttäuschung weinen, das gehört auch zur Essenz des Fussballs. Das fehlt jetzt bei den Geisterspielen. Diese Emotionen setzen in normalen Zeiten zusätzliche Energie frei.
Hat sich der Fussball im letzten Jahr als Ganzes verändert?
Das Tempo ist im Spiel aktuell fast wie vor der Pandemie, das zeigen zum Beispiel die Laufdaten bei YB. Aber es gibt weniger Gerangel, es fehlt diese zusätzliche Motivation. Der Heimvorteil ist kleiner geworden, qualitativ gute Mannschaften setzen sich klarer durch.
Also ist der Trainer noch wichtiger geworden?
Grundsätzlich haben die Führungspersonen in dieser Corona-Zeit eine noch wichtigere Rolle. Das gilt nicht nur im Fussball, das fehlende Feedback von Fans oder Kunden hat einen direkten Einfluss auf die Leistung der Spieler oder das Personal. Jetzt muss der Chef eben die Leistung beurteilen und den Einsatz loben und ihm so einen Wert geben.
Gerardo Seoane (43) ist als Sohn spanischer Eltern in Luzern geboren, er besitzt sowohl die schweizerische als auch die spanische Staatsbürgerschaft. Nach den ersten Schritten als Fussballer bei den Junioren des FC Rothenburg wechselte er als 12-Jähriger in den Nachwuchs des FC Luzern. Beim FCL schaffte er es in die erste Mannschaft, ehe er nach Sion und später nach Spanien zu Deportivo La Coruña wechselte. Zurück in der Schweiz, spielte er bei Aarau und GC und beendete schliesslich seine Karriere als Spieler mit 32 Jahren beim FC Luzern. Bei Luzern machte er die Ausbildung zum Trainer und stieg von der U15 über die U18 bis zur U21 auf, ehe er 2018 die erste Mannschaft übernahm. Nach einem halben Jahr wechselte Seoane im Sommer 2018 als Nachfolger von Adi Hütter zu den Young Boys. Seither wurde er mit Gelb-Schwarz bereits zwei Mal Meister, ein Mal Cupsieger und erreichte die Gruppenphase der Champions League. Sein Vertrag bei YB läuft bis Sommer 2023.
Autor: Peter Pflugshaupt
Bilder: Remo Neuhaus
Quelle: YBusiness Nr. 3 / 2020/21