Interview mit Michel Aebischer

Michel Aebischer wechselte 2013 von Fribourg in die U17 von YB. Heute ist er zweifacher Meister mit den Bernern und hat im November im Nationalteam debütiert. Sein Traum: Teilnahme an einem grossen Turnier.

Er ist 22 und der neueste Nationalspieler in den Reihen von YB: Michel Aebischer. Der Mittelfeldspieler aus dem freiburgischen Sensebezirk lebt in Heitenried bei seinen Eltern, schätzt die Ruhe im 1’400-Einwohner-Dorf – und macht gerne auch einmal einen Abstecher in andere Sportarten. Der Fribourger Sportler des Jahres 2018 ist Zuschauer bei Volleyballpartien seiner Freundin. Und er ist Sympathisant des HC Fribourg-Gottéron.

Michel, welche drei Adjektive beschreiben Dich am treffendsten?
Spontan würde ich sagen: aufgestellt, respektvoll, zielgerichtet.

Und welche Eigenschaften hättest Du gerne dazu?
Ich bin ganz zufrieden mit mir. Wenn ich aber ein paar Fähigkeiten wünschen dürfte, die in meinem Beruf hilfreich wären, kämen mir einige in den Sinn: Ich hätte gerne den linken Fuss von Lionel Messi, den rechten von Cristiano Ronaldo, die Schnelligkeit von Kylian Mbappé… (schmunzelt)

Mit 22 bist Du Stammspieler bei YB und hast im Nationalteam debütiert. Musst Du Dich gelegentlich kneifen, um sicher zu sein, dass Du nicht träumst?
Es kommt mir manchmal vor wie ein schöner Film. Aber ich dachte noch nie, dass es surreal ist, ein Traum, aus dem ich bald erwache. Ich habe viel geopfert und investiert, um so weit zu kommen, und sehe es als Belohnung dafür, dass ich nie nachliess. Gleichzeitig ist es wichtig, die Bodenhaftung nie zu verlieren. Bescheidenheit und Demut, das sind Tugenden, die mir von daheim mitgegeben worden sind und auch bei YB grossgeschrieben werden. Ich bin Fussballprofi, ja, aber deswegen muss ich nicht das Gefühl haben, etwas Besseres zu sein. Du gehörst offenbar zu den pflegeleichten Spielern.

Warst Du bereits als Junior so?
Ja. Wenn ich zwischendurch von einem Trainer nicht berücksichtigt wurde, reklamierte ich nicht, sondern sagte mir: Jetzt musst Du im Training Gas geben und Dich aufdrängen.

Wann gab es das zuletzt?
In der U21 bei YB sass ich zwischendurch auf der Bank, aber mich spornte das jeweils an, mehr zu tun. Da brauchte es weder ein motivierendes Wort des Vaters oder des Beraters. Resignation war für mich nie eine Option. Ich darf behaupten, dass ich mit dieser Einstellung gut fuhr.

Wie belohnst Du Dich, wenn Du mit YB einen grossen Erfolg feierst?
Eigentlich gar nicht. Ich brauche auch sonst nicht unbedingt ein riesiges Auto oder teure Kleider.

Was ist für Dich Luxus?
Ein schönes Zuhause wie wir es mit meinen Eltern in Heitenried haben. Dazu ein Umfeld, in dem ich mich wohl und geborgen fühle, Freunde und eine Freundin, auf die ich mich verlassen kann. Das ist zig mal wichtiger als alles Materielle.

Du bist mit 1,84 Metern und 75 Kilo nicht unbedingt der Typ Kleiderschrank und gehst trotzdem keinem Zweikampf aus dem Weg. Woher kommt diese Furchtlosigkeit?
Das hat mit den Emotionen zu tun, mit der Freude am Fussball, mit der Lust und dem Willen, das Spiel zu gewinnen. Wenn ich in ein Duell steige, habe ich zwar Respekt, aber nie Angst. Sonst käme das nicht gut.

Welcher Gegenspieler hat Dir bislang besonders Eindruck gemacht?
Der Franzose Paul Pogba von Manchester United ist einer, der gezeigt hat, warum er das Prädikat Weltklasse verdient. Er verfügt über einen wahnsinnigen Punch, bewahrt die Ruhe am Ball und setzt seinen Körper geschickt ein. Diese Qualitäten machen ihn zu einem kompletten Fussballer.

Ihr Vorbild ist aber ein anderer: Toni Kroos. Warum er?
Zum einen hat er eine Geschichte, die mir imponiert: Er wird beim FC Bayern Profi, an Bayer Leverkusen ausgeliehen und nach seiner Rückkehr nach München unbestrittener Stammspieler. Und schliesslich erfolgt der Wechsel zu Real Madrid. Ich nehme Toni Kroos als Spieler wahr, der nicht vergessen hat, woher er kommt. Ausserdem ist auch er kein Schrank. Und über seine spielerische Klasse muss man nicht diskutieren.

Was heisst das konkret?
Seine Übersicht und die Ruhe am Ball sind beeindruckend, seine Passgenauigkeit ist schier unfassbar. Die allermeisten Zuspiele kommen an.

Einen augenfälligen Unterschied zwischen euch beiden gibt es: die Tattoos.
Er hat ein paar mehr als ich, das stimmt! (lacht). Mir sagt das halt nicht so viel.

Welche Liga im Ausland verfolgst Du mit besonderem Interesse?
Die Bundesliga. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich war zwar nicht unbedingt Fan einer Mannschaft, schaute mit meinem Vater am Samstagabend aber regelmässig die Sportschau auf ARD. Dafür hatte ich früher neben Kroos noch einen zweiten Lieblingsspieler: Kaká von der AC Milan. Mein Vater kaufte mir einmal, als er mit Kollegen in Mailand einen Match besuchte, ein Trikot des Brasilianers. Natürlich trug ich es mit Stolz.

Bei YB bist Du nun einer der Leader. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um eine solche Rolle übernehmen zu können?
Man darf sich nicht davor scheuen, Verantwortung zu übernehmen, gerade in schwierigen Phasen. Man sollte eine positive Ausstrahlung haben, vorangehen, den Jüngeren helfen, ihnen mit Tipps zur Seite stehen und nie aufgeben. Ich versuche, genau so zu funktionieren.

Du gehörst neben Guillaume Hoarau, Fabian Lustenberger, Marco Wölfli, David von Ballmoos und Miralem Sulejmani zum Mannschaftsrat. Was bedeutet Dir das?
Es ist vor allem eine Anerkennung für das, was ich bisher geleistet habe. Mir ist klar, dass dadurch die Erwartungen steigen. Aber damit habe ich keine Probleme.

Wirst Du nie nervös?
Doch, zum Beispiel vor einem Champions-League-Spiel. In der Super League würde ich nicht von Nervosität reden, sondern von Anspannung. Aber die ist nötig, um meine Leistung abrufen zu können.

Du hast einen Vertrag bis 2022. Denkst Du gleichwohl ans Ausland?
Es wäre schön, wenn ein Transfer einmal ein Thema würde. Aber derzeit ist YB mein Club, ich muss nicht so schnell fort aus Bern.

Wenn die verletzten Spieler zurückkehren, heisst das auch, dass der Konkurrenzkampf grösser wird.
Das ist gut so! Ein gesunder Konkurrenzkampf treibt uns zu noch besseren Leistungen an. Bei uns hat niemand einen Freipass. Wenn alle gesund sind, bieten sich dem Trainer wieder mehr Möglichkeiten.

Hast Du Träume?
Ich möchte mit der Schweiz an einer EM oder WM teilnehmen. Und es wäre ein riesiger Traum, einmal bei Real Madrid zu spielen.

Die EM 2020 ist gar nicht so unrealistisch. Du hast im November Deine ersten Minuten als Nationalspieler erlebt…
…es war richtig cool und erfüllte mich mit Stolz, unser Land zu repräsentieren. Ich hätte natürlich nichts dagegen, wenn ich im Juni 2020 nicht Ferien hätte (lacht). Der erste Einsatz macht Lust auf mehr, aber ich bin nicht in der Position, Ansprüche zu erheben. Empfehlen kann ich mich einzig mit guten Leistungen bei YB.

War das Länderspiel auch ein Moment, in dem so etwas wie Nervosität aufkam?
Beim Spiel selber nicht. Aber vorher, beim Einrücken, da kribbelte es schon ein bisschen. Das legte sich dann sehr schnell. Die Integration wurde mir sehr leicht gemacht.

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Quelle: YB MAG Nr. 2 / 2019/20

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