Das Museum erzählt: Die zweite Karriere des Jean-Claude Bruttin

Alle sehen ihn, aber kaum einer nimmt ihn wahr. Seit der Eröffnung des Stade de Suisse Wankdorf versieht er seinen Dienst als Steward beim Spielertunnel: Unaufgeregt, kompetent, verlässlich. Es handelt sich um Jean-Claude Bruttin – einst sieben Jahre selber Stammspieler bei YB. Beim Cupsieg 1977 bildete er zusammen mit Andersen, Conz und Odermatt das Vierer-Mittelfeld. Inzwischen ist er 73-jährig – und sein Einsatz und seine Begeisterung für seine Young Boys sind ungebrochen.


Jean-Claude Bruttin an seinem Arbeitsplatz beim Spielertunnel im Stade de Suisse.

Heute sei er vor und während einem Match um einiges nervöser als einst als Spieler, sagt er. Und man sieht es ihm an: Er lebt mit, fiebert, innerlich dürfte es zuweilen kochen und brodeln – aber als Steward hat er sich und seine Zone trotzdem souverän im Griff. Die unmittelbare Nähe zum Spielgeschehen, der Kontakt mit den Akteuren von «Freund und Feind», mit den Offiziellen und den Fans im Rücken – das alles gibt Jean-Claude Bruttin aber das Gefühl, wie einst im Mai selbst dabei zu sein. «Ich freue mich auf jeden Heimspiel-Einsatz wie ein Kind», sagt er, «und ich hoffe, meinen Dienst noch lange ausüben zu können.»

Einst ein Allrounder mit Kanten

Von 1968 bis 1977 spielte Jean-Claude Bruttin bei YB, ab 1970 als Stammspieler. Es dürften an die 250 Partien gewesen sein, die der Romand in dieser Zeit in der Meisterschaft, Cup, Europacup und in der Vorbereitung in der ersten Mannschaft bestritten hat. Seine Position? Eine gute Frage, die Bruttin selbst nur vage beantworten kann: «Ich spielte in der Abwehr, links und rechts, im Mittelfeld links und rechts, oft auch im Angriff, links oder rechts oder in der Mitte.» Er war eben ein Allrounder, beidfüssig (rechts 100 Prozent, links 90 Prozent, so seine Angabe), wie es ihn heutzutage kaum mehr gibt. Er spielte dort, wo er von seinen Trainern gebraucht wurde. Und er gab immer alles – und zwar in jeder Beziehung, wie seine Gegenspieler mitunter erfahren mussten. Nach knallharten Duellen mit Gabet Chapuisat (dem Vater von Stéphane) und Atom-Otto Luttrop flog er vom Platz… Sein erster YB-Trainer war Albert Brülls, es folgten Walter Eich, Henry Skiba, Heinz Schneiter, Hans-Otto Peters und schliesslich Kurt Linder. Alle wussten sie, was sie an Jean- Claude Bruttin hatten.

Kein Geld für den Fussball

Jean-Claude Bruttin stammt aus einfachsten Verhältnissen. Sein Vater, früh verstorben, war Unterwalliser, die Mutter Freiburgerin – die Familie lebte in Bulle. Der kleine Jean-Claude spielte in jeder freien Minute Fussball, auf der Strasse, in Hinterhöfen oder auf freien Rasenflächen, und zwar mit Ehrgeiz und Begeisterung. Eines Abends bekam Mutter Bruttin unerwarteten Besuch: Ein Vorstandsmitglied des FC Bulle bat darum, den 15-jährigen Jean-Claude bei den Junioren aufnehmen zu dürfen. Doch Frau Bruttin musste schweren Herzens ablehnen: «Wir haben das Geld nicht, um dem Buben Fussballschuhe und sonstige Ausrüstung zu kaufen.»

Ein Jahr später kam das Vorstandsmitglied wieder vorbei – und, welche Freude, diesmal hatte er ein paar nigelnagelneue Fussballschuhe dabei. Und nun klappte es: Jean-Claude Bruttin, der nach der Schule in einer Kugellagerfabrik arbeitete, durfte seinen Fussballer-Traum verwirklichen. Schnell schaffte er es in die erste Mannschaft des FC Bulle – und zwei Jahre später, 1966, spielte er beim FC Sion in der Heimat seines Vaters bereits in der Nationalliga A. Und dann kam das Angebot aus Bern. Von YB.

Der Transfer zum «Lieblingsklub»

Es war der damalige Präsident Ferdinand Schmutz, der zusammen mit Sportsekretär Jean Morgenegg den Transfer von Sion zu YB einfädelte. Für Bruttin eine wunderbare Sache, «ein Traum, denn die Young Boys waren schon immer mein Lieblingsklub.» Er wohnte in Hinterkappelen und er arbeitete – weil es in der Schweiz erst das Halbprofitum gab und er als Romand bilingue war – halbtags in einem Bieler Reisebüro.

In seinen aktiven YB-Jahren hatte Bruttin zahlreiche Mitspieler, die noch heute unvergessen sind: Walter Müller, Ueli Guggisberg (mit ihm zusammen wurde er auch einmal für die Nationalmannschaft aufgeboten), Albert Brülls, «Housi» Schild, Bert Theunissen, Walter Eichenberger, «Mucki» Brenninger, Jean-Marie Conz, Marcel Cornioley, Pier-Angelo Boffi, Köbi Brechbühl, Karl Odermatt, Seppi Küttel und viele andere. Trotz der grossen Konkurrenz: Bruttin spielte immer, wenn er nicht gerade verletzt oder infolge der oben erwähnten Platzverweise gesperrt war. Und er schoss auch regelmässig Tore: Besonders in Erinnerung ist ihm eines gegen den legendären ehemaligen Nationalkeeper Charly Elsener. Und unvergessen ist für ihn natürlich der Cupsieg 1977.

Und wieder ein Anruf von YB

Nach seiner Spielerkarriere (die er nach seiner YB-Zeit vier Jahre lange in Bulle ausklingen liess) wohnten die Bruttins zwar weiterhin in Hinterkappelen, aber die Kontakte zu den Young Boys waren eingeschlafen. Seine Enkelkinder hielten Jean-Claude, der nun als Taxidriver sein Geld verdiente, aber in Trab. Und dann kam wieder ein Anruf von YB, bzw. vom ehemaligen YB-Präsidenten Ralph Zloczower: «Er machte mich darauf aufmerksam, dass im neuen Stade de Suisse Stewards gesucht würden – das sei doch etwas für mich.»

Eine klare Sache, dass sich Jean-Claude Bruttin bewarb. Er erinnert sich: «Uns Auserwählten wurden beim Spielerausgang nach einer Schulung die Zonen im Stadion verteilt. Einer nach dem andern erhielt einen Sektor – und zuletzt blieb nur ich übrig. Ich durfte gleich stehen bleiben und wurde dem Spielerausgang zugeteilt. Das war das grosse Los!»

Obschon er seit einigen Jahren in Winterthur wohnt (aufgrund von Grossvaterpflichten) ist er seit damals bei jedem Match dabei. Und er wurde 2018 mit YB sozusagen auch noch Schweizermeister.

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Autor: Charles Beuret
Quelle: YB MAG Nr. 2, Saison 2018/19

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